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Christian Sickendieck20. Mai 2011Drucken
Es sollte sich mittlerweile rumgesprochen haben, dass die Server der Piratenpartei weitestgehend
beschlagnahmt und abgeschaltet wurden. Man sollte sich da nicht großartig an den Verschwörungstheorien beteiligen, sondern ein Blick auf die bisher veröffentlichten Informationen werfen. Die Ermittlungen richten sich nicht gegen die Piratenpartei, sondern beruhen auf einem Rechtshilfegesuch der französischen Staatsanwaltschaft. Gerüchten zufolge sollen sich Anonymous-Aktivisten über das Piratenpad koordiniert haben und dort zu Hackerangriffen auf ein französisches Energieunternehmen aufgerufen haben. Spätestens an diesem Punkt stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Die Piratenpartei ist die sechstgrößte Partei Deutschlands — und ist beispielsweise bei der Kommunalwahl in Hessen in mehrere Kommunalparlamente eingezogen. Auch wenn sie derzeit bundesweit bei Wahlen und in den Umfragen bei +- 2% stagniert — bei den sogenannten Jugendwahlen konnten sie sich schon als viertstärkste Kraft etablieren. Die Piraten sind mittlerweile fest im politischen Spektrum unseres Landes verankert.
Durch Artikel 21 unseres Grundgesetzes sind Parteien in Deutschland besonders geschützt. Nun werden die Piraten 2 Tage vor der Bremen-Wahl ihrem wichtigsten Kommunikationsmittel beraubt. Nun kann man einwerfen, es gebe die Kommunikation im persönlichen Gespräch, per Telefon oder auf anderem Wege. Das ist selbstverständlich nur zum Teil korrekt. Durch das Grundgesetz sind nicht nur die Parteien, sondern auch und insbesondere ihre Kommunikationswege geschützt — und dementsprechend auch die Serverstruktur der Piraten. Was dem Pirat sein Server, ist dem CDU-Mitglied sein Telefon. Hier gilt es keinen Unterschied zu machen — erst Recht nicht im Internetzeitalter, indem wir uns schon lange befinden.
Man stelle sich einmal vor, die Staatsanwaltschaft würde die Mobilfunktelefone aller CDU-Mitglieder beschlagnahmen, sowie die Server bei T-Mobile für die Mailboxen. Das wäre ungefähr mit dem zu vergleichen, was heute Morgen mit den Piraten geschehen ist. Auch würden eine Staatsanwaltschaft nicht alle Server von Google abschalten, weil über Google Aufrufe zu Straftaten zu finden sind. Die Piratenpartei ist ein einfaches Ziel gewesen — die Staatsanwaltschaft ist offensichtlich den Weg des geringsten Widerstandes gegangen.
Der Bundesvorstand hat mittlerweile
eine Stellungnahme abgegeben. Neben einiger (sprachlicher) Schwächen ist die zentrale Botschaft: «Die Abschaltung aller Server ist ein massiver Eingriff in die Kommunikations– und Informationstruktur der sechstgrößten Partei Deutschlands. Angesichts der in zwei Tagen anstehenden Landtagswahlen in Bremen wird hier politisch ein massiver Schaden angerichtet, den der Bundesvorstand der Piratenpartei Deutschland aufs entschiedenste verurteilt. Im Zusammenhang mit den laufenden Ermittlungsarbeiten wird daher zu klären sein, ob die erfolgte Durchsuchungs– und Beschlagnahmeanordnung rechtlichen Vorgaben entsprochen hat, insbesondere ob die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurden.» Dem ist kaum Etwas hinzuzufügen.
Selbst wenn das nicht genannte französische Energieunternehmen bereits Hackerangriffen ausgesetzt wäre, die Koordination komplett über das Piratenpad liefen würde — die Beschlagnahme und das Abschalten der Server einer Oppositionspartei in Deutschland lässt sich durch keinen Grund oder Einwand rechtfertigen. Selbst das Telemediengesetz in Deutschland ist hier eindeutig: erst wenn der Betreiber des Piratenpads, in diesem Fall also die Piratenpartei, von den rechtswidrigen Inhalten Kenntnis erlangt, muss er handeln und die rechtswidrigen Inhalte entfernen. Dies geschieht täglich mehrfach, die großen Netzwerke können ein Lied davon singen, viele Blogger ebenso.
Was die deutsche Staatsanwaltschaft, das BKA und das zugehörige Gericht geritten hat, nicht diesen schnelleren, rechtlich einwandfreien Weg zu gehen, und wieder einmal die Grundstruktur unserer Demokratie, unser Grundgesetz, anzugreifen, muss in den nächsten Wochen und Monaten geklärt werden. Die Piratenpartei hat durch die Wahlerfolge der Vergangenheit eine gut gefüllte «Kriegskasse». Es bleibt zu hoffen, dass sie diesen schändlichen und feigen Angriff eines französischen Unternehmens, einer unterwürfigen deutschen Staatsanwaltschaft, eines unfähigen Bundeskriminalamtes und eines blinden Richters nicht auf sich sitzen und höchstrichterlich überprüfen lässt. Ein Tipp am Rande an die Behörden:
Anonymous sind anonymous , keine bestimmten Personen, sondern ein Kollektiv.
Zum Schluss sei angemerkt, dass ich das Schweigen der etablierten Parteien, egal ob sie CDU, SPD, Grüne, FDP oder Linke heißen als schändlich empfinde. Wo ist bei diesen Parteien der Aufschrei? Wo sind die Proteste bei diesem Angriff auf eine andere demokratische Partei in unserem Land? Schweigen im Walde. Weil es einen Mitbewerber getroffen hat? Den etablierten Parteien sei ein Zitat vom Theologen und Widerstandskämpfer Martin Niemöller ins Gästebuch geschrieben: «Als sie die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen — denn ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialisten und Gewerkschafter geholt haben, habe ich geschwiegen — denn ich war ja keins von beiden. Als sie die Juden geholt haben, habe ich geschwiegen — denn ich war ja kein Jude. Als sie mich geholt haben, hat es niemanden mehr gegeben, der protestieren konnte.»
Heute war kein guter Tag für unsere Demokratie…