Donnerstag, 19. März 2009

Homo homini Lupus

http://0815-info.de/News-file-article-sid-10486.html


Homo homini Lupus

http://0815-info.de/News-file-article-sid-10486.html


Amok: 1994 - 2001 - 2009
Geschrieben von Kuddel am Freitag, 13. März 2009

aktuelle News Der folgende Text stammt aus dem Jahr 2001 und wurde direkt nach Erfurt umgeschrieben, weil er 1994 nach dem Rütli-Schwur als Gedicht schon entstand



Foto: youdontsay.org
E(h)rfur(ch)t

Schon lange steht fest:
es gelten die gebrochenen GeSchwüre
Eskalierende Gewalt
in den Schulen der Nation

von Hartmut Barth-Engelbart*

Auf Wahnsinn folgt Wahnsinn, folgt Wahnsinn. Weder das Waffengesetz, die Videospiele, noch die Schützenvereine sind der Kern des Problems. Diese Problemchen werden eher noch von OberbürgermeisterInnen und Landräten gehätschelt und als eventuelles Hilfspolizeireservoir gepflegt und stärker subventioniert als Jugendzentren und Schulsozialarbeit.

Konsequenz:
Bundesgrenzschutz auf den Campus, Polizeiwachen auf den Schulhof, sponsored by Mc Donalds und Pepsi Cola oder Binding Lager oder Karamalz. Kaum ein Mensch – außer dem sich zurückziehenden Ruppert von Plottnitz vielleicht – fragt jetzt mal öffentlich nach den Ursachen oder weist darauf hin: Wie man in den Wald schießt, so schießts auch wieder raus.

Jetzt geht (wie damals nach Freising) ein Ruck durch die Nation: SchülerInnen müssen wegen der Nestwärme enger zusammenrücken, wo 33 reinpassen, passen auch 35 rein, im Hauruckverfahren werden Schwachstellen in der Auslastung der Lehrkörper und so ungenutzte Zeitguthaben gesucht und gefunden, Einsparpotenziale durch Stellenrücken, Optimierung der Betreuungsdichte bei SozialpädagogInnen und SchulpsychologInnen (Beratung per Internet), Einrücken von Zivilschutzreserven auf die Schulhöfe, und es werden jede Menge Trostpflästerchen und Notverbände herausgerückt, Haushaltstitel werden kurzfristig verrückt und nach Beendigung der Trauerveranstaltungen wieder zurechtgerückt. Und bereits vollzogene oder bevorstehend beschlossene Kürzungen im Bereich der Jugendhilfe, der Jugendsozialarbeit etc. werden schnell übertüncht, getarnt aus der Schusslinie genommen und ins rechte Licht gerückt.

Jahrelang wurde offiziell gegen die »Kuschelpädagogik« gehetzt, die Gegner des Zensurenterrors verteufelt, sozialdarwinistische Ausleseverfahren heilig gesprochen, das Zentralabitur möglichst schon in die vierte Grundschul-Klasse vorverlegt, das Grenzensetzen gepredigt, wo durch kultus-bürokratische Will-Kür und -Plichten, durch Arbeitszeitverlängerung und -verdichtung, durch Stellenkürzung und Paukverplanung längst die dadurch immer enger gezogenen Grenzen LehrerInnen und SchülerInnen strangulieren. Sich für SchülerInnen Zeit nehmen, heißt heute »Zeit verlieren«!! Und wer sich dafür die Zeit stiehlt, der begeht ein Dienstvergehen. Diebstahl auf Kosten der Kollegen und des Staates. Wie sollen SchülerInnen zu Menschen Vertrauen gewinnen, die keine Zeit für sie haben, die nicht zuhören können, die ihnen nichts zu sagen haben, weil sie ihre Probleme gar nicht kennen, die sie sanktionieren, bestrafen, bloßstellen, erniedrigen, von oben herab be- und verurteilen, benoten und noch nicht einmal danach fragen, nicht wissen, was das bewirkt (und das schwerpunktmäßig in den Schulstufen, wo die Pubertätsprobleme nach allen Seiten – und nach innen – ausschlagen), Menschen, die die Folgen ihres Tuns verdrängen oder um sie wissen und es trotzdem tun oder gerade deswegen: Das ist Zucht mit extrem Abhängigen.

Und das ist die Regel, die ganz harmlos wirkende und unauffällige normale Regel. Die mit ihrer vernichtenden Wirkung (noch immer) in jedem Schulwinkel haust. Dieses Regel-Räderwerk wird tradiert, seit Jahrhunderten, nur die alltäglichen Blutspuren sind nicht mehr so alltäglich. Prügelpädagogik mit neuer Fassade: die nichtprügelnde Prügelpädagogik wird nicht gelehrt, sie wird eindressiert, nicht auf den Paukböden schlagender Verbindungen (auch die sind wieder im Kommen!), sondern in den Dressurpaukveranstaltungen der Lehrerausbildung (besser: Pädagogikaustreibung, schulpolitischer Exorzismus) in überfüllten Groß-Seminaren und Vorlesungen – ausgelastet bis zum letzten Notstehplatz, betriebswirtschaftlich durchkalkuliert, hier wird diese nichtprügelnde Prügelpädagogik am LehrerCorps durchexekutiert.

Gibt es eigentlich noch Professoren, die ihre Studenten kennen können? Wann kommt der Anschlag auf den AfE-(uni)turm, das Massaker im IG-Farbenhaus, das Blutbad am Niederurseler Hang? Ich kenne eine Reihe von Studenten verschiedenster Fachrichtungen und verschiedenster Fastabschlüsse, die schon subjektiv vor der Wahl standen: Springen oder Sprengen? Wer kann sie aufhalten? Kann sein, dass die Entscheidung bereits in der kostengünstigeren Großgruppe in der Kindertagesstätte gefallen ist, in der 32er Grundschulklasse (eine 23er ist auch schon viel zu groß) oder an der Türe des Lehrerzimmers, die aufging und eine entnervte Stimme nur etwas gereizt krächzte: »Jetzt habe ich aber gar keine Zeit«. Klar, war ja große Pause und die Arbeitsblätter waren noch nicht kopiert, nicht genügend Bücher für die ganze Klasse und die Koordination noch nicht fertig und zwei Eltern am Telefon und der Kaffee schon kalt. So werden Opfer Täter und Täter Opfer. Und dann Herr Schröder, sind es »faule Säcke«. Wobei der Stoiber das Gleiche denkt, es aber vor der Wahl nicht sagt. Und die Frau Hohlmeier ist eine Wolff im Schafspelz und hat zur Zeit etwas Kreide gefressen aus Solidarität mit dem Lehrkörper. Achtung vor Menschenleben? Schießen unsere Schnellen-Eingreif-Trupps etwa aus Wasserpistolen, werfen unsere Tornados etwa nur Kalorienbomben ab und sind die Raketen an den Tragflächen nur Stukatour am
Märchenhimmel? Hat ein deutscher Leopard heute keine Reißzähne mehr wie vor 60 Jahren der deutsche Tiger? Das alles ist Reality-TV und kein Video-Spiel. Und diese »Mission« politisch abzustellen wäre als aller erster Schritt durchaus nicht »impossible«. Wer diese Real-Gewalt-Videos abstellt, der rettet zigfach mehr als 17 Menschenleben. Und gibt den Youngsters eine andere Orientierung.

Auf Wahnsinn folgt Wahnsinn folgt Wahnsinn: Wie man in den Wald schießt, so schießts auch wieder raus.

Mit leicht getanen Federstrichen ihrer Büttel entscheiden die Kultusbürokraten und Finanzminister, die Kaputtsparer von CDUFDPSPDGRÜNENPDS ...; die Nichtabnehmer der Produkte aus der Ausbildungs-Zuliefer-Industrie, über Biographien, über das Leben (und den Tod, auf Raten mit Drogen oder per Selbstmord, auch auf getunten Rädern) zigtausender SchülerInnen, über Elternschicksale und auch über die Schicksale vieler Täter-Opfer, vieler Lehrer/innen, die es gelernt haben, nicht gegen inhumane Arbeitsbedingungen zu streiken, sondern eher als Vollzugsbeamte nach unten zu treten.


Das folgende Gedicht entstand 1994. Der Autor weiß, wovon er spricht. Er ist selbst Lehrer.

Schulkampf

Der Aufschrei der Leistungsbüttel
hallt durch den Blätterwald
kreischt aus der Röhre
flimmert exotisch
über den Bildschirm

Die Welt geht unter!
5 US-Soldaten und drei Deutsche
sind in Afghanistan gefallen
nach Tausenden von Bomben
fast ein Wunder
nur fünf und drei

Der Aufschrei schrillt
nach Weltbilduntergang
nicht vorne
wo im Irgendwo Exotistan
Nein. Das Schreien gilt
der Nahkampf tobt
ganz nah und alltags
gellend an
der Heimatfront

Aus- und nachgerüstet
mit den schwersten Waffen
Notenbüchern Zeugnisformularen
und Bußgeldtorturnistern

und neuen Wolfsgesetzen
ziehen sie wochentäglich an die Front
Schulkampf

Schulhöfe sind
Selektionsrampen geblieben
die deutsche Industrie Norm
DinA links, zwo, drei, vier
hat sich schon vor der
Schädelformvermessung
als viel zu starr erwiesen
um den Arbeitssklavenmarkt
den weißen, grauen, schwarzen
bedarfsgerecht und passgenau zu füllen

der Kinderkopf als Bildungsziel
betrommelfeuert und behämmert
gedrückt gepresst gerichtet
be- und eingetrichtert
bis er passt

Anforderungsprofile kreischen sich
cd-gesteuert in der Schuldrehbank
durch Fleisch und Blut
durch Bauch und Herz und Hirn
durch Restrückgrad
und Knochenmark

wo gehobelt wird
da fallen Spähne

ohne Handwerk
keine Industrie
das Waffen-High-Tech
braucht das Waffenhandwerk
das Schlachtfeld Schule
braucht den Unteroffizier
den Korpsgeist
und den Standesdünkel
den Fundamentalismus
aus der Mittelschicht

und das Niveau
schulmeisterlicher Hirne
– im Durchschnitt
einmeterneunundsiebzig
plus Ortszulage
über Meeresspiegel-
bestimmt am Horizont
das Ende der
zivilgebombten Erdenscheibe

Der Mittelpunkt des Universums
befindet sich im Zentrum
eines Pausen-Kaffeebechers
bisweilen auch im
Strudel einer Tasse
lauwarmen Hagebuttentees

Das Wohl des Kindes
auf den Lippen
stürzen sich Bataillone
von Durchgreifkommandos
ins Getümmel auf dem
Schulschlachtfeld
nahkampfgeschulte
Einzelkämpfer
zwischen den
Fronten im Niemandsland

aus harmlosen Instrumenten
werden in ihren Händen
mörderische Waffen
sie töten mit Blockflöten
selbst die Gitarre
wird zur Knarre
nur wer sich wehrt und sträubt
wer den Befriedungseinsatz stört
wird angeschossen
wahlweise aus- und
eingeschlossen und betäubt

so gibt es auf dem Schulschlachthof
kein Blutbad mehr und keine Toten
der Schlagstock ist verboten
keine Striemen auf den Pfoten
keine Kopfabnoten

Strafexpeditionen Standgerichte
erwiesen sich als ungeeignet
den Widerstand im Niemandsland
zu brechen

Das Lehrerfreicorps hat gelernt
mit ethisch einwandfreien Federstrichen
den Gegner zu entwaffnen
Entwicklungsstandsberichte
ersetzen Standgerichte
Entwicklungshilfsaktionen
statt Strafexpeditionen

Beratung gibt es statt Verhöre
statt Spionage Hausbesuche
Arrest wird zum sozialen Training
und Straf- und Zwangsarbeit
zum Förderkurs

Der Blockwart
wurde schon vor Jahren
zum Kontaktbereichsbeamten
umbenannt gestrichen und
jetzt wieder eingeführt
als Schützenvereins-Ehrenamt
damit die Menschen sichrer leben

Und sage keiner
dass sich an der Front
nichts täte

Alles drängelt zu den Waffen
alle sind sie angetreten
»Rührt euch!« ein Ruck
geht durch die Reihen
und alle haben sich gerührt

Bisweilen kann man
spüren, sehen, hören
wohin uns dieses Rühren
führt

1994
(2001 neu bearbeitet)

Nachbemerkung:

Nach den wieder geltenden Wolfsgesetzen gibt es jetzt zwar keine Ausschlussprämien, auch keine feststehenden Auslesequoten, aber endlich wieder die Kopfabnoten, ohne die der Lehrkörper mit leeren zur Strafe erhobenen Händen dasteht wie bei einer Kapitulation mit weißem Fähnchen, das sich noch fix in den Wind halten lässt.

Doch selbst die erhöhten Eintrittsschwellen gegen erfahrungsgemäß renitenteres und gewaltbereiteres Unterschichtenpotenzial kann vor Ausfällen abstiegsgefährdeter Mittel- und Oberschichtsprösslinge nicht schützen. Höchstens überstundenfreie, ungestresste, ausgeglichene, kinderfreundliche, nichtrassistische, nicht nachtragende, untraumatisierte, nicht überqualifizierte und so nicht frustrierte, angemessen hoch bezahlte, menschen- und grundrechtsversierte, sozialpädagogisch durchtrainierte, polizeipsychologisch trainierte, mediationserfahrene, fröhlich gutgelaunte Scharfschützen in transparenten Sandsacknestern auf den Dächern könnten etwas nützen. Aber so etwas können wir uns unmöglich leisten. Bei der aktuellen Haushalts-, Wirtschaftswachstums-, Dow-Jones-, DAX- und Nemax-Lage .... Beim besten Willen nicht, das werden Sie doch verstehen, bei Ihrer Bildung, Ihrem Abschluss ...
Wenn nicht, dann müssen Sie ganz einfach daran glauben.

Geschrieben und umgeschrieben nach Erfurt
aus Ehrfurcht und Trauer um die vieltausend mal 17 Opfer
und aus unendlich mehr Furcht
vor dieser VerGEWALTigungsmaschine



Die Trauerfeiern sind vorbei
pro Jahr ein Sonntag für die Toten
wir ziehen weiter in den Krieg
und geben weiter Noten

© HaBE
* Hartmut Barth-Engelbart ist seit über 40 Jahren in sozialen Brennpunkten Jugend- & Kinderarbeiter, Familienhelfer, Grundschullehrer und Chorleiter, Drogenberater und ehrenamtlicher Bewährungshelfer. Außerdem BR-Vorsitzender und Gewerkschafter, Musiker, Schriftsteller und Kabarettist

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen